Das Burgfräulein vom Schloss Uttendorf

Bei Uttendorf zweigt sich die Mattig in mehrere Bäche. Entlang des im Nordwesten gelegenen Baches erstreckt sich weithin ein steiler hoher Hang. Unterhalb desselben befindet sich der Markt und oberhalb befand sich bis vor ca. 500 Jahren ein churfürstliches Schloss mit gut ausgebauten Wehranlagen. Es war ein Wachposten, der rechtzeitig plündernde und mordende Völker aus dem Osten ankündigte und den Bewohnern des Marktes Schutz und Zuflucht bot. Über diesen Hang zieht in den Zwölfnächten* der Überlieferung nach das „Wilde Gjoard“ ( die wilde Jagd)* mit furchtbarem Brausen  in dunklen Wolken knapp über die noch übrig gebliebene Schlosskirche dem Kobernaußerwald zu. Der Klang von Jagdhörnern mischt sich mit Unkenrufen.

Als die Burgherrn mit ihren Rittern an Macht gewonnen hatten und die Bauern in Knechtschaft gerieten, Zehent und Robot leisten mussten, wurden die einstigen Beschützer des Landes zu Raubrittern. Sie bauten den alten Erzählungen nach sogar einen unterirdischen Gang bis weit vor den Markt. Hier kamen sie plötzlich zu Tage und überfielen Händler, die auf dem Weg von Salzburg nach Braunau waren, und raubten sie aus.

Auf der Burg wurden jedoch ausgelassene Feste gefeiert, bei denen sich die Frauen mit kostbarem Geschmeide zierten. An einem grau verhangenen Sommertag kam ein in einem weiten Mantel gehüllter Mann auf einem lahmenden Rappen geritten und bat auf Schloss Uttendorf um Herberge für die kommende Nacht. Die Zugbrücke wurde heruntergelassen, und der Fremde gelangte in den Burghof. Als er vom Pferd gestiegen war, lüftete er seinen Schlapphut und streifte seinen Umhang ab. Jetzt zeigte er sich als Herr mit langem, weißem Bart. Sein Wams war mit leuchtenden Edelsteinen durchwirkt, um den Hals trug er eine Perlenkette, und die Finger zierten goldene Ringe. Beim abendlichen Gelage prostete die hübsche aber habgierige Tochter des Burgherrn dem Gast zu und schenkte zum wiederholten Male Wein nach. Sobald sie vermeinte, der reiche Fremdling sei total betrunken und seiner Sinne nicht mehr mächtig, nötigte sie ihren Vater, den Gast fesseln und dann berauben zu lassen. Als ihn die Knechte in Ketten gelegt hatten, baute sich der Herr gar mächtig auf. Ein Auge funkelte wie ein heller Stern, und die Eisenfesseln fielen klirrend zu Boden. In diesem Moment schlugen grelle Blitze ein und Donner krachte gewaltig. Die Burg brannte aus, stürzte nieder und begrub die Ritter und ihre Frauen, den Burgherrn, das Gesinde und auch das Burgfräulein.

Als nach vielen Jahren nur noch Mauerreste zwischen den hohen Waldbäumen aufragten, mühte sich ein junger Mann im  Bereich der Ruine bei der Holzarbeit. Todmüde setzte er sich auf einen umgesägten Baumstamm und setzte eben die Wasserflasche an seine ausgedörrten Lippen, da sah er in den Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen eine Lichtgestalt auf sich zukommen. Es war eine hübsche, weiß gekleidete junge Dame mit blondem Haar. Mit trauriger Windstimme flüsterte sie:

„Du bist arbeitsam und reinen Herzens. Ich war jedoch einst habgierig und habe Schätze gehortet. Hilfst du mir, gehören alles Gold, Silber, Geschmeide und die Edelsteine dir, und ich kann, vom irdischen Reichtum befreit, in die Seligkeit eingehen!“

Der Jüngling hatte die Flasche, ohne zu trinken, abgestellt und rieb sich benommen die Augen. Das luftige Wesen stand noch immer vor ihm. Schließlich versprach er, alles getreulich zu tun, was ihm befohlen werde.

„Komme am Karfreitag zur Burgruine, nehme einen geweihten Palmzweig mit, lege mit Farnkräutern einen Kreis und stelle dich hinein. Um Mitternacht werde ich nach einem heftigen Sturm beim Vollmondschein in der Gestalt eines dreiköpfigen Drachens erscheinen. Jeder der Köpfe wird sein Maul aufreißen und dich mit messerscharfen Zähnen und mit Feueratem bedrohen. Bleibe trotz alledem ruhig und besonnen, denn in dem Kreis kann dir kein Unheil geschehen. Berühre nun mit deinem Palmzweig einen der Köpfe. Du wirst sehen, dass er sich in Luft auflöst. Setze deine Aufgabe fort, bis nur noch ein Kopf übrig bleibt. Dadurch werde ich mich in die Gestalt verwandeln, die du jetzt siehst. Sogleich werde ich dich an der Hand in den Burgkeller der Steinklüfte führen und dir eine Schatztruhe übergeben, die dann dir ganz alleine gehört. Ich jedoch werde unbeschwert und schwerelos in die Ewigkeit entschwinden.“

Der Holzarbeiter fand sich wie verabredet ein, doch als sich der dreiköpfige Drache zeigte, fiel er im Entsetzen in Ohnmacht. Als er am folgenden Morgen in seinem Kreis aus Farnkräutern mit dem Palmzweig in der Hand erwachte, war er weißhaarig geworden. Fortan redete er wirr und lebte bis zu seinem Ende als Sonderling.

Das Burgfräulein, das ihren irdischen Reichtum nicht los werden konnte, mußte nun hundert Jahre bis zur nächsten Gelegenheit warten und harrt nach vielen Fehlversuchen noch immer auf ihre Erlösung.

Wenn in den Rauhnächten das „Wilde Gjoad“ über die Schlosskirche zieht, ist das Wimmern und Wehklagen des verwunschenen Burgfräuleins zu hören.

 * Erklärung: Wilde Jagd ( Geisterheer, das nachts, bes. in den Zwölfnächten mit Hundegebell und Jagdrufen durch die Luft braust, angeführt vom wilden Jäger) – Zwölfnächte ( auch Rauhnächte von der Feier Christi Geburt bis Dreikönig )